Journalistin. Fotografin. Spezialistin für Geschichten „off the beaten track.“

„Hat jemand vergessen, das Licht anzuknipsen?“ Noch von der grellen Morgensonne geblendet, kann ich im dunklen Atrium des Canadian Museum for Human Rights zunächst nur schemenhafte Formen wahrnehmen. An der Wand gegenüber erscheint wie von Geisterhand eine Schrift.

 

Die Schrift entpuppt sich als Willkommensbotschaft in verschiedenen Sprachen. Der dunkle Ersteindruck ist gewollte Provokation. Besucher werden vom dunklen Atrium bis hinauf in den lichtdurchfluteten Tower of Hope geführt, einen gläsernen Turm, der sich 100 Meter in die Höhe erhebt. Die einzelnen Ebenen sind durch begehbare Galerien aus spanischem Alabaster verbunden, die das Innere geheimnisvoll leuchtend durchziehen. Alle paar Meter eröffnet sich mir ein neuer Blickwinkel.

Wie von Geisterhand geschrieben erscheint die Willkommensbotschaft in der Eingangshalle. Foto: Birgit-Cathrin Duval

Schon alleine wegen der Architektur lohnt es sich, das Kanadische Museum für Menschenrechte (CMHR) zu erkunden. Antoine Predock ließ sich bei der Gestaltung von der Landschaft Kanadas inspirieren. Das futuristische Gebäude gleicht einem eben gelandeten Raumschiff und prägt Winnipegs Skyline. Fotofreunden wie mir bietet das Museum ein eindrucksvolles Motiv – vor allem nachts, wenn es beleuchtet ist. Obwohl ich nur für vier Stunden in Manitobas Hauptstadt bin, lasse ich mir die neueste und eindrucksvollste Sehenswürdigkeit natürlich nicht entgehen.

Persönliche Geschichten stehen im Mittelpunkt der Ausstellungen. Foto: Birgit-Cathrin Duval

Das CMHR wurde an einer historisch bedeutsamen Stelle errichtet. Am Zusammenfluss von Red River und Assiniboine River gab es einst einen Versammlungsplatz der kanadischen Ureinwohner. Bis 1800 diente der Ort Jägern und Pelzhändlern als Handelspunkt. Später wurde er zum wichtigen Eisenbahnknotenpunkt, dessen historische Gebäude noch heute erhalten sind. Heute wird das Gebiet The Forks genannt und ist Winnipegs beliebtester Treffpunkt. Ganzjährig finden hier zahlreiche Musik- und Food-Festivals statt. Im The Forks Market läuft mir angesichts der angebotenen Köstlichkeiten das Wasser im Mund zusammen. Künstler und Handwerker verkaufen in kleinen Galerien ihre Kunstwerke. Gleich daneben, nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt, befindet sich das Museum.

Über die beleuchteten Galerien geht es zu den unterschiedlichen Ebenen. Foto: Birgit-Cathrin Duval

Um vom Eingang durch alle Galerien bis zur Aussichtsplattform des Tower of Hope zu laufen, bin ich knapp eine halbe Stunde unterwegs. Mir wird klar: Mehr als eine Stippvisite ist heute nicht drin. Für das CMHR sollte man sich am besten einen ganzen Tag lang Zeit nehmen. Statt ausgewählter Objekte bietet es Geschichten, denn es soll als Begegnungsstätte dienen: Menschen rücken zusammen, erleben Gemeinschaft und tauschen ihre Lebensgeschichten aus.

 

Mehr als 100 Stunden Filmmaterial, 26 Kurzfilme, 512 Videoclips, 2.500 Fotografien und über 100.000 Wörter zählende Originaltexte warten darauf, in sieben Kinoräumen, einer 360-Grad-Filmarena, zwei Soundlandschaften und unzähligen Multimedia-Stationen entdeckt zu werden. Das Geniale des Konzepts ist, das ich kein stummer Betrachter bleibe, dem eine Geschichte vorgesetzt wird, sondern dazu aufgefordert werde, mich intuitiv zu entscheiden, welche Elemente oder Geschichten mich interessieren.

Dank innovativer Multimediatechnologie werden die Besucher Teil der Präsentation. Foto: Birgit-Cathrin Duval

Um kurz innezuhalten, setze ich mich einige Minuten in den Garden of Contemplation. Mir schwirrt der Kopf. Zu viele Eindrücke in viel zu kurzer Zeit. Von der Zeitschiene, die mir aufzeigt, was sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ereignet hat. Von Völkermorden in Armenien, Ukraine, Ruanda und Bosnien. Von Aktivisten, die sich für Menschenrechte einsetzen. Und mir stellt sich die Frage: Was würde ich an ihrer Stelle tun? All das muss sich erst einmal setzen.

 

Zum Schluss blicke ich noch einmal vom Turm auf die Stadt. In einer halben Stunde fährt mein Zug, aber ich breche nur ungern auf. Es gäbe noch so vieles, das ich sehen möchte. Das CMHR ist keine Sehenswürdigkeit, die man einmal besucht und abhakt. Es ist vielmehr ein Ort der Begegnung und Inspiration, an den ich bestimmt wieder zurückkehren werde.

Die Timeline-Galerie erzählt die Geschichte der Menschheit in Bild und Wort. Foto: Birgit-Cathrin Duval

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